Tanz im Käfig
Zur Uraufführung von “Kategorie F_29” im Neuen Theater Halle am 08.05.2009
Im inneren Nichts gefangen, wie in einem Käfig, isoliert hinter einer Milchglasscheibe – so möchten die Akteure des Freien Theaters Nordlichten (Hildesheim) und des Tanztheaters ellaH in ihrem durch weiß-transparente Tücher abgegrenzten Bühnenraum scheinen. So drücken Annett Paschke, Matthias Spaniel (Regie) und Kathrin Weber-Krüger (Dramaturgie) ihrem Tanztheaterprojekt durch den Titel einen Stempel “Kategorie F29” auf. Unter dieser Bezeichnung grinst einen im ICD 10 die Diagnose der nichtorganischen Psychose finster an. Die Darsteller Cornelia Baeßler, Knut Gabel, Livia Makrinus, Veit Merkle, Franziska Schaff, Anna Schnitzer, Margund Weber und Anita Wuttke sind semiprofessionelle Tänzer und Schauspieler. Ihr Tanztheaterprojekt ist inspiriert durch Sarah Kanes Stück “4.48 Psychose”, ein Werk im Stil der Fragmentierung und des Aufbrechens klarer Rollen. Der Titel bezeichnet das Symptom des Frühaufwachens, frei von Medikation und bedeutet den scheinbar paradoxen Zustand von geistiger Klarheit und psychotischer Manie.
Einen Lichtstrahl teilt den Bühnenboden diagonal: die “Borderline”. Das ICH windet sich um diese Linie, mal in den einen, mal in den anderen Bereich schwankend. Es wird im Verlauf des Stückes zerfallen. Interessant kontrastiert wird dieser Regress durch Hannes Schefflers progressive Gitarrenmusik. Als die vier Teilpersönlichkeiten das ICH auf der Bühne anschleichen und in irrsinniger Geste den Schleier zum Publikum hin abreißen, ändert sich leider nichts weiter, kein Bruch ist zu sehen. Schwarze Flocken beginnen todesverheißend auf die Szenerie zu rieseln, die von vergeblichen Verständigungsversuchen lebt. Dabei werden die Ascheflocken zum Vermittler: man bewirft, streichelt und reibt sich damit.
Letztlich bleiben die Darsteller aber an Betroffenenzitaten und ihren stereotypen Bewegungsabläufen kleben. Die Inszenierung schreibt weithin nur von Aussagen psychisch Kranker ab. So passiert es, dass die Worte Sarah Kanes: “Ich will nicht sterben, ich will nur nicht mehr leben” den Zuschauern lediglich leichte Lacher entlocken. Ein tieferes Verständnis wird in der Vorführung des leeren Glaubens an die Rettung durch Ärzte oder Medikation offenbar. Das eindrucksvollste Bild dazu zeigt das ICH, Therapiefloskeln wie “Ich bin wertvoll” leiernd, wobei sein Mund und seine Zwangsjacke mit Asche ausgestopft werden. Verstärkt wird die Stimmung durch klinisch-kaltes Neonlicht, welches den Szenenkäfig rundherum ausleuchtet (Licht: Christian Meinke).
Am Ende fällt die Gruppe vom ICH ab und es schreitet auf der lichternen “Borderline” aus dem Raum, eindeutig. So werden keine Fragen aufgeworfen.