Es herrscht nichts, als das nichts
Zur Uraufführung von “Kategorie F_29” des Tanztheater ellaH und freien theaters nordlichten im neuen theater Halle
Als sich die englische Dramatikerin Sarah Kane vor 10 Jahren im Alter von nur 28 Jahren erhängte, hatte sie kurz zuvor das letzte Manuskript ihrem Verleger übergeben. “4.48 Psychose” – Aufzeichnungen und Fragmente über die Klarheit im Wahn, die morgendlichen Stunden ab 4.48h. Es sind Teile dieser autobiographischen Skizzen und Berichte anderer Betroffener, die das freie theater nordlichten (Hildesheim) und das Tanztheater ellaH (Halle) gemeinsam als Inspiration für ihre Inszenierung “Kategorie F_29” genommen haben.
Hinter dem zwar transparent und doch schleierig wirkenden Vorhang sind zunächst nur die Konturen einer tanzenden Frau erkennbar. Noch tanzt das ICH allein, noch ist es ganz. Im Verlaufe des Abends aber zerfällt es in Gedanken, Bewegungen, Emotionen. Es dauert nicht lang, schon haben sich die anderen vier im ICH eingenistet, mal chorisch tanzend oder sprechend als kollektives Bewusstsein, mal einzeln brechend und hervorhebend. Es sind auch diese vier Teilpersönlichkeiten, die kurz Klarheit schaffen, indem sie den Vorhang herunterreißen und den Blick frei geben. Obwohl die Protagonistin sie zu diesem Zeitpunkt noch wie ihre eigenen Bewusstseinsmarionetten zu steuern scheint, ist der Auflösungsprozess nicht mehr zu bremsen. Das pathologische Moment wird immer durchsichtiger, wenn Szenen aus dem Therapiealltag auftauchen, verschiedenste Medikamente und ihre Dosierungen besprochen werden und die Neonröhren im Gegenlicht diese Krankenhaussterilität bezeugen (Licht: Christian Meinke). Die fünf DarstellerInnen scheinen in ihren Körpern gefangen: Getriebene, deren Ruhelosigkeit sich in Atemlosigkeit offenbart, die nicht aus ihren Zwangsjacken (Ausstattung: Anja Scholz) herauskönnen, die immer mehr zerfallen und eins werden mit dem permanent rieselnden Ascheregen. So geht dann das ICH schließlich aus dem letzten Licht, obwohl es nicht sterben will, das Leben aber nicht mehr erträgt.
Die beiden Regisseure Annett Paschke und Matthias Spaniel zeichnen ein sehr intimes und einfühlsames Bild der Krankheit als auch der Betroffenen, ohne sich dabei ausschließlich in Düsterkeit und Melancholie zu verlieren. Sie finden in der Symbiose von Tanz- und Sprechtheater ihre eigene Form, die der Zerrissenheit kraftvoll Ausdruck verleiht. Ein großes Lob gilt den fünf Darstellerinnen und Darstellern, die der “nicht näher bezeichneten nichtorganischen Psychose” – so der Fachterminus hinter F29 – ein Gesicht gegeben und Mut gemacht haben.