Es fehlen die Worte
Das Tanztheater “ellaH” aus Halle und das freie Theater “nordlichten” aus Hildesheim haben sich zusammengetan, um mit szenischen Mitteln zu ergründen, was dieser schwammige medizinische Terminus eigentlich umschreibt. Hierfür haben sie mit Betroffenen gesprochen, haben Erlebnisberichte gesammelt, die von Psychopharmaka-Nebenwirkungen handeln, von Therapieversuchen in psychiatrischen Kliniken und von bohrenden Entfremdungsgefühlen. […]
Aber es gibt eine andere Ebene, einen Versuch die Welt der Worte zu unterlaufen, einen Ausdruck zu finden für das Nicht-Sagbare. Denn fünf Darsteller tragen zwar Hemden, die wie Zwangsjacken auf ihrem Rücken verknotet sind, bewegen sich aber in schmerzlichen Choreographien zu der mal verzweifelten, mal euphorischen Musik von Hannes Scheffler. Das Regie-Team Annett Paschke und Matthias Spaniel findet Körperbilder für Seelenzustände. Die Tanzfiguren bleiben anfangs im Bereich der altbekannten Ausdrucksgesten, wachsen sich im Laufe der einstündigen Aufführung jedoch zu immer eindrucksvolleren Verzweiflungsbekundungen aus. Während ein gleichmäßiger Strom von dünnen schwarzen Plastikflocken auf die Bühne des theo rieselt, ergeben sich Verdichtungen der Schutzlosigkeit. […]
Dieses Tanztheater kann dem Phänomen psychischer Erkrankungen keine fassbaren Erkenntnisse abringen, schafft aber doch tiefe, eindringliche Ausdrucksmomente. Vielleicht will dieses Stück genau das: Der Unerreichbarkeit der Kranken einen Referenz erweisen. Es fehlen die Worte, es fehlt auch der Trost. Aber da ist die Bewegung, die Musik, die mitreißt, die für Augenblicke Halt schafft und Verbindung. Die Gefangenen werden nicht befreit. Wir aber werden berührt.